AuslandESK-Freiwilligendienst

På vei i Norge (Unterwegs in Norwegen)

„Borders? I have never seen one. But I have heard they exist in the minds of some people.” (Thor Heyerdahl)

Eine sichtbare Grenze musste ich auf meiner Reise nach Norwegen zum Glück also nicht überfliegen, nicht einmal meinen Pass musste ich am Flughafen vorzeigen, trotz Verlassens der EU. Während die physikalische Grenzüberschreitung in einem komfortablen 3-Stunden-Flug also einfach und zügig vonstattenging, war es wohl eher das mentale Ankommen in einem neuen Land und einer ungewohnten Situation, das Herausforderungen und Spannung mit sich brachte.

Nach Maturastress, Umzugschaos und einem ziemlich vollgepackten Zeitplan machte ich mich am 1. August 2017 auf den Weg in den hohen Norden. Neben einem 23,9 kg schweren Koffer, einem großen Rucksack und für die Jahreszeit viel zu warmen Kleidern, war es vor allem ein flaues Gefühl, leichte Zweifel und ein bisschen Heimweh bzw. die Angst davor, die mich dorthin begleiteten. Es war seltsam am Flughafen irgendwelche Leute zu treffen, mit denen ich dann ein Jahr verbringen soll, an irgendeinen Ort zu kommen, der dann für ein Jahr das zu Hause sein soll. Eher also kleine persönliche Grenzen und vertraute Bereiche, die es zu verlassen galt.

Beziehungsweise die es nun neu zu erkunden und aufzubauen hieß. Stiftelsen Grobunn, eine biodynamische Farm, auf der junge Erwachsene mit Behinderung wohnen und arbeiten, sollte also der Ort dafür sein. Etwas ab vom Schuss, außerhalb eines kleinen Ortes namens Ilseng, ca. 100 km nördlich von Oslo, in einer netten, aber nicht allzu spektakulären Gegend Norwegens, in der auch leider die Berge fehlen.

Das Konzept von Grobunn erinnert ein bisschen an Camphill, ist aber (zum Glück) doch eine Spur weniger ideologisch. Es gibt 2 Häuser, in welchen die Lehrlinge und SchülerInnen wohnen. Erstere sind etwas älter und arbeiten auf dem Hof, im Hofladen und Café, in der Holzwerkstatt, im Gemüsekeller, im Bastelraum etc. Ich arbeite hauptsächlich mit den SchülerInnenn zusammen, die in der Schulküche, auf dem Bauernhof und in der Holzwerkstatt zwar auch hauptsächlich praktische Tätigkeiten lernen, aber zumindest ein paar Stunden Unterricht in Norwegisch, Mathe, Eurythmie, Sport, Musik und Biologie haben. Ich arbeite zwei Tage pro Woche von 7 bis 15 Uhr. Dienstags in der Schulküche, was mir recht gut gefällt, da wir immer ein klares Ziel (das Mittagessen für alle) vor Augen haben und ich selbstständig auch eigene Ideen verwirklichen kann. Freitags ist Turdag (Wandertag), das wöchentliche Arbeitshighlight, bei dem wir mit den SchülerInnen einen kleinen Ausflug machen, meist mit Lagerfeuer und Schokoladenbaum (in Norwegen wachsen Schokoladentafeln tatsächlich auf Bäumen…). Zwei bis drei Tage habe ich die Abendschicht von 15 bis 21 Uhr, wobei es hier hauptsächlich darum geht, den SchülerInnen Anregungen für die Freizeitgestaltung zu geben, gemeinsam zu kochen und schließlich beim Zähneputzen etc. zu helfen. Dort ist die Erlebnisdichte für meinen Geschmack zwar manchmal etwas zu gering, aber dank Dunkelheit und kalten Temperaturen draußen fällt es mir etwas leichter, auf einen ruhigeren Modus umzustellen.

So ist nicht nur die Arbeit und das Umfeld vertrauter geworden, sondern – das wichtigste – aus 6 anderen Freiwilligen wurden Freunde. Paul (Österreich), Nora und Marten (Deutschland), Naomi (Niederlande), Dani (Spanien) und Timi (Ungarn) sind mit mir im Projekt. Wir teilen eine Wohnung, kochen zusammen, sollten danach manchmal etwas gründlicher gemeinsam aufräumen (meint zumindest unser Mentor), tauschen uns über die Arbeit aus, unternehmen Ausflüge und Freizeitaktivitäten. Bisher haben wir zum Glück hauptsächlich die Vorzüge genossen, die ein recht enges Zusammenleben etwas abseits weiterer Zivilisation mit sich bringt. Zusammenhalt, Gemeinschaft und eine gewisse Gemütlichkeit, wenn wir zusammen eines unserer leckeren Abendessen (um die wir von allen anderen Freiwilligen in Norwegen beneidet werden) genießen oder einfach nur auf der Couch sitzen. Oder Couchsurfen.

Bisher haben wir diese App zwar noch nicht wirklich verwendet, die Grenzen Grobunns und sogar Norwegens haben wir in einigen Reisen aber trotzdem verlassen. Ein Wanderwochenende im Rondane Nationalpark mit Nora und Paul war der erste, und vielleicht auch der beste, Wochenendtrip bisher. Mit Zelt, (zu dünnen) Schlafsäcken und Sehnsucht nach Bergen im Gepäck haben wir uns mit Zug und Autostopp – der Bus fuhr nicht mehr – auf den Weg gemacht. Zwar sind wir bei einer 12 Stunden Tour, nachdem wir beschlossen hatten, dass die Empfehlung 2 Tage für diesen Weg einzuplanen, nicht für uns gelten sollte, zumindest in die Nähe unserer Leistungsgrenze gekommen, haben dabei aber die unberührte, raue Landschaft und den Hauch von Abenteuer umso mehr genossen.

Ein weiteres Highlight war unser On-Arrival Training in Balestrand. Wunderschön am Fjord  und in den Bergen gelegen, haben wir eine Woche mit allen EFD Freiwilligen in Norwegen verbracht. Abgesehen davon, dass ich mit all meinen Kleidern beim Kanufahren in den kalten Fjord gefallen bin, habe ich das vielfältige Programm mit Wanderung, Museumsbesuch, Theateraufführung, …, das gute Essen und vor allem den Austausch mit den anderen Freiwilligen sehr genossen. Auf dem Rückweg sind Paul und ich dann noch einen Tag bei meinem Patenonkel John und seinem Cousin in Oslo geblieben, der uns nicht nur die Top-Sights von Oslo gezeigt, sondern auch großzügig eingeladen hat. (Revanchiert haben wir uns dann vor ein paar Wochen mit einem Kaiserschmarren hier bei uns in Grobunn.)

In den Herbstferien war Papa dann zu Besuch und wir haben in Bergen, Ålesund und Molde neben netten Städten mit einem täglichen Gipfel auch die spektakuläre Landschaft der Westküste genossen. Danach hat Papa mich noch für zwei Tage bei der Arbeit begleitet, was für uns beide spannend war, da er meinen Erzählungen nun Gesichter zuordnen kann und ich mich mit ihm viel konkreter über meine Erfahrungen austauschen kann.

Neben mehreren netten Hüttenwanderwochenenden, einmal auch mit Carla, einer Mitarbeiterin, und kleineren Ausflügen, waren Nora, Paul, Dani, Naomi und ich Ende November für ein paar Tage in Vilnius (Litauen). Ein ganz anderes Flair, eine architektonisch beeindruckende Altstadt, endlich etwas los und all das auch noch (besonders im Vergleich zum exorbitant teuren Norwegen) zu echten Schnäppchen-Preisen – das war eine willkommene Abwechslung.

So sehr ich nämlich das Leben in Grobunn, die gemütlichen Vormittage mit Nora und die Spaziergänge mit Paul genieße, freue ich mich auch immer sehr, von hier wegzukommen. Am gleichen Ort zu wohnen, zu arbeiten und aufgrund mangelnder Möglichkeiten in der näheren Umgebung auch den Großteil der Freizeit zu verbringen, das kann sich manchmal auch nach zu engen Grenzen anfühlen.

So haben sich also in den letzten Monaten neue Grenzen geformt. Weil wir unser Auto für einige Wochen nicht hatten, zum Beispiel, aber auch, weil wir bei der Arbeit nicht immer die gewünschte Verantwortung und Freiheit bekommen. Ich habe aber auch Grenzen überwunden, mal mehr, mal weniger freiwillig. Die Sprachbarriere ist mit meinem (zwar nicht allzu großen, aber für einfachere Konversationen ausreichendem) Norwegisch-Wortschatz kleiner geworden und an die Heraus- und Anforderungen bei der Arbeit und vor allem im Umgang mit den SchülerInnen gewöhne ich mich immer mehr. Außerdem haben wir Freiwilligen zwar die Grenzen ganz unterschiedlicher Länder verlassen, wachsen hier aber trotzdem sehr zusammen und genießen die gemeinsame Zeit.

Mange hilsener fra Norge – viele Grüße aus Norwegen,

Meret