Im Ländle

Meine acht Monate als Kernjahrteilnehmerin

Oder: Wie ich ans andere Ende von Österreich gezogen bin, um meinen eigenen Weg zu finden

Wie alles begann

Meine Geschichte beginnt Ende September an einem Samstagmorgen in Niederösterreich. Neben der üblichen Tageszeitung, die wie immer schon am Esstisch lag, wenn ich zum Frühstücken in die Küche kam, war eine Zeitungsbeilage zu finden. Nicht das Titelbild oder der Titel selbst erregten meine Aufmerksamkeit, nein, es war der Titelzusatz: „Möglichkeiten nach der Schule? Gibt es seeehr viele. Um durchzublicken, brauchst du Infos – die findest du hier.“ Warum, fragt ihr euch, war das wichtig für mich? Ich hatte im Juni maturiert, wusste aber immer noch nicht, wie mein nächster Schritt aussehen sollte. Sollte ich reisen, bei einem sozialen Projekt im Ausland mitarbeiten oder doch studieren – und wenn studieren – welches Fach? Ich wusste es einfach nicht und diese Ungewissheit war ziemlich nervenaufreibend. Besonders, weil es nun schon so gut wie Oktober war.

In besagter Zeitungsbeilage war als Beispiel für Programme, die jungen Menschen helfen sollen, Orientierung in ihrem Leben zu finden, auch das Kernjahr aufgelistet. Laut Homepage könne man im Rahmen des Projektes herausfinden, wer man sei, was man könne und was man wolle. „Raum und Zeit für deine Potentiale“ gäbe es. Ich wusste nicht, dass ich danach gesucht hatte, aber ich hatte es gefunden. Nach einem kurzen Telefonat mit Birgit, einer der Gründerinnen, war es also entschieden. Ich hatte noch einen Platz bekommen und durfte am Montag, also in 36 Stunden, beim Beginn des Kernjahres als Teilnehmerin mitmachen. Da ich ja aus dem Osten Österreichs oder, wie ich später gelernt habe, aus „Innerösterreich“ stamme und keine Menschenseele in Vorarlberg kannte, durfte ich zunächst bei Birgit übernachten. Nachdem sie mich Sonntag vom Bahnhof abgeholt hatte und ich mich kurz bei ihr zu Hause hatte frisch machen können, zeigte sie mir noch am gleichen Abend Bregenz. Ich lernte den Milchpilz kennen sowie die mir äußerst liebgewordene asiatische Restaurantkette „Manga“.

Auf ins Abenteuer

Die ersten Tage im Kernjahr beschäftigten sich damit, dass wir uns in der Gruppe etwas kennen lernten sowie einen ersten Einblick in die Methoden erhielten, die uns in den kommenden acht Monaten begleiten sollten, wie etwa das Storytelling. Wie immer, wenn sich neue Gruppen aus sich unbekannten Leuten bilden, war es auch bei uns sehr still und eine etwas angespannte, vorsichtige Stimmung war im Raum zu spüren. Ich hatte diese Art von anfänglicher Schwere jedoch noch nie so leicht erlebt wie mit diesen Menschen.

Nachdem die ersten drei Tage des Kernjahres vorüber waren, fuhr ich noch einmal nach Hause, um meine restlichen Sachen, die ich in der Windeseile Samstagabend nicht mehr eingepackt hatte, zu holen. Nun stand mein endgültiger Umzug nach Vorarlberg bevor. Die ersten Wochen im Ländle kam ich im Kolpinghaus in Bregenz unter – nicht sehr berauschend, da ich keine Küche zur Verfügung hatte. Aber Birgit hatte mich ja schon in den Genuss vom „Manga-Essen“ an meinem ersten Abend hier eingeführt, also war alles halb so wild.

Bereits im Oktober durften wir unglaublich viele spannende Menschen kennenlernen. Wir bauten ein Hochbeet, aus dem wir auch die restlichen Monate gerne für unser tägliches Kochen ernteten und verbrachten viele Stunden in der Natur und am See. So lernten wir einiges über uns selbst und uns auch gegenseitig schnell kennen. Rasch entwickelten wir uns zu einer eingeschworenen Gruppe, die ich heute glücklicherweise als meine zweite Familie bezeichnen kann.

Das Kernjahr findet immer von Montag bis Mittwoch statt. In der restlichen Woche sollen die TeilnehmerInnen arbeiten gehen, um sich den monatlichen Beitrag selbst zu finanzieren. Da ich aber so spontan nach Vorarlberg gekommen war, musste ich mich nun neben der Wohnungssuche auch mit der Jobsuche beschäftigen. Mit Anfang November hatte ich ein Zimmer in einer wunderschönen Wohnung in Hohenems gemietet und meinen ersten Arbeitstag in der PR-Abteilung der Dornbirner Sparkasse gehabt. Auch hier wurde ich herzlich aufgenommen und konnte vieles ausprobieren und lernen. Neben dem Kernjahr hat mir auch besonders dieser Job geholfen, mich für eine berufliche Richtung zu entscheiden.

Phase Nummer Eins

Im Verlauf der Phase Nummer Eins erlebten wir einiges zusammen, wir als Gruppe und auch mit den Coaches. Wir lernten uns immer besser kennen. Es entstand ein sehr besonderer, einzigartiger Raum voller Vertrauen und Zuneigung. Der Spaß durfte aber natürlich auch nicht fehlen. Nochmal besonders zusammengeschweißt hat uns das „Art of Hosting“ Training Ende November im Festspielhaus. Wir waren drei Tage und zwei Nächte zusammen. Es fühlte sich an, als ob wir wieder in der Schule wären und eine mehrtägige Exkursion machen würden – aber diesesmal ohne Lehrer ;).

Nach den Weihnachtsferien kam das Ende der ersten Phase näher und näher. Die letzten Wochen beschäftigten wir uns besonders damit, unsere eigene Vernissage – die „Kernissage“ – vorzubereiten, da wir gerne unsere Kunstwerke, die wir zusammen mit zwei Künstlern geschaffen hatten, präsentieren wollten. Es war ein gelungener Abend mit Ice-breaker Spielen, Gesang, Gesprächen und vielem mehr. Das Schönste daran war jedoch, dass die wichtigsten Menschen in unserem Leben gekommen waren. Unsere Familien, ja, auch meine Eltern sind aus dem fernen Niederösterreich für diesen Anlass angereist, und Freunde sowie viele Menschen, die wir im Rahmen des Kernjahres kennengelernt hatten, feierten mit uns den erfolgreichen Abschluss der ersten Phase und den Start in unser eigenes, individuelles Abenteuer – die zweite Phase.

Phase Zwei

Im Rahmen meines Abenteuers machte ich ein Praktikum in einem Kindergarten, da ich bis dahin noch nie wirklich mit Menschen, für die ich die Verantwortung voll und ganz übernehmen musste, zu tun gehabt hatte, und ich somit aus meiner Komfortzone musste. Nebenbei beschäftigte ich mich auch mit meinen Uni- und FH-Bewerbungen. Mit der Zusage eines Studienplatzes für mein – nun – Wunschstudium „Internationale Wirtschaft und Management“ in der Tasche kehrte ich, voller Vorfreude auf ein Wiedersehen, nach Vorarlberg zurück, bereit für die letzte Phase.

Abschluss

Die dritte und somit letzte Phase verging schneller als du „Kernjahr“ sagen kannst. Wir erlebten Sachen wie Improtheater (anfänglich hatte ich echt Zweifel, wie viel ich damit würde anfangen können, aber schlussendlich war es einer der lustigsten und lehrreichsten Tage der ganzen acht Monate), Workshops zu verschiedensten Themen, wie etwa Werte, Partnerschaft und Entscheidungen oder stundenlanges, nächtliches „Werwolf“-spielen. Wir kosteten jeden Moment, den wir zusammen verbrachten, gänzlich aus und unsere Beziehungen zueinander wurden nochmals tiefer.

Es kam wie es kommen musste und schon war die letzte Woche des Kernjahres 2017/18 angebrochen. Wir verbrachten unseren Abschied zusammen auf einer Berghütte über Nacht. Es wurde viel gelacht, es flossen Unmengen an Tränen und doch waren es wunderbare Tage.

Ich bin nun nicht mehr traurig, dass das Kernjahr zu Ende gegangen ist. Das vorherrschende Gefühl in mir ist Dankbarkeit. Ich bin dankbar für diese wunderbare, lehrreiche Zeit, die ich hier erleben durfte. Dankbar für die Menschen, die ich kennen lernen durfte und die mich auf meinem Weg unterstützt und begleitet haben, und dankbar, dass ich nun Vorarlberg als meine zweite Heimat bezeichnen kann.

Ich durfte in den letzten acht Monaten unglaublich viel über mich lernen und mich weiterentwickeln. Ich bin einen großen Schritt in Richtung meines eigenen Lebens gegangen und kann es nun kaum erwarten, meine Zukunft selbst zu gestalten. Mein liebes Ländle, mein liebes Kernjahr, diese Zeilen waren sicher nicht das Letzte, was ihr von mir gehört habt. Ich freu mich auf ein baldiges Wiedersehen!